Das Zentrum für Kompetenzen in Wien
Eine 43-jährige Frau lebt in einer 90 qm Wohnung in Wien. “Ich brauche viel Platz, um mich bewegen zu können. Die Wohnung ist gerade richtig für mich.” In ihrer Wohnung hat sie auch ein Gästezimmer. Das ist aber noch keine Geschichte, schon gar nicht für die Impulse!
Neuer Versuch: Karin Weiner, 43 Jahre alt, ist von Geburt an behindert und benutzt einen Rollstuhl. Aufgrund ihrer Behinderung braucht sie 24 Stunden Persönliche Assistenz. Die Persönliche Assistenz schläft im Gästezimmer. “In meiner Wohnung kann ich mich mit meinem Rollstuhl so bewegen, wie ich will.” Karin Weiner ist Künstlerin. Schon in ihrer Jugend faszinierte sie Kunst. Heute besucht die Künstlerin Lehrveranstaltungen an der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Durch die Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen und dem damit verbundenen Anspruch auf umfassende Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft sollte das eine selbstverständliche Situation sein, die vielleicht eine kleine Notiz wert ist, aber nicht die große Story. Das war aber nicht immer so!
Rückblende
Keine Persönlichkeitsentwicklung
Über dreißig Jahre Institutionserfahrung haben Karin Weiner geprägt. Ihr Umfeld hat ihr Selbstbewusstsein nicht gestärkt, sondern stets nur vermittelt, was alles nicht geht. Die Persönlichkeitsentwicklung der KlientInnen stand nicht im Vordergrund, sondern die Interessen der Einrichtung. Dabei waren die Bedürfnisse, die über die Grundversorgung der KlientInnen hinausgehen, nicht relevant. Sie wurden vergessen, sie waren “wurscht”. In ihrem Überlebenskampf hatte Weiner diese Strategie eins zu eins übernommen.
“Erst in zahlreichen Gesprächen in der Peer-Beratung wurde mir klar, dass ich genau diese Verhaltensmuster übernommen habe, und damit meine Bedürfnisse, Ziele und Träume im Interesse der Einrichtung abtrainiert habe”, beschreibt Karin Weiner ihr damaliges Verhalten. “Erst als mir das klar wurden, konnte ich langsam wieder meine Bedürfnisse, Ziele und Träume ausgraben.”
Diese Erfahrung machen die BeraterInnen im ZfK immer wieder. “In unserer Beratungstätigkeit ist das leider Alltag. Behinderte Personen haben verlernt, ihre Bedürfnisse zu artikulieren, Ziele zu haben und diese zu verfolgen. Oft genug bekommen behinderte Menschen zu hören, dass sie TagträumerInnen sind und eher auf den Boden der Realität zurück kommen sollen”, weiß Angelika Pichler, stellvertretende Projektleiterin des Zentrums für Kompetenzen, aus vielen Gesprächen.
Der Hauptschulabschluss
Nach einigen Jahren der Beratung beschloß die motivierte Kundin 2005 den Hauptschulabschluss nachzumachen. Stolpersteine, die von der Einrichtung in den Weg gelegt wurden, konnten mit Hilfe der BeraterInnen aus dem Weg geräumt werden. Im Oktober 2006 erhielt Karin Weiner das Abschlusszeugnis der Hauptschule. “Ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig stolz auf mich”, beschreibt sie ihren Erfolg.
Karin Weiner hat den Hauptschulabschluss nachgeholt: “…zum ersten Mal richtig stolz!”
Von einer Wohngemeinschaft in die nächste
Persönliche Zukunftsplanung
Eine lange Reise
Jürgen Vanek auf einer Harley
Kein Recht auf Persönliche Assistenz
Der Weg zur eigenen Wohnung schien allerdings verschlossen, da es keine Möglichkeit zur Finanzierung der Persönlichen Assistenz gab. Da Vanek, ebenfalls Künstler aus Leidenschaft, einen Sachwalter hatte, hatte er in Wien kein Recht auf Persönliche Assistenz. Also wurde die Sachwalterschaft beendet. Aus dem Sachwalter wurde ein Berater, der Vanek bis heute zur Seite steht. Der formale Verhinderungsgrund war nun beseitigt, dennoch blieb die Stadt Wien bei ihrer Haltung. “Ich habe nicht verstanden, warum sich nicht-behinderte Menschen Unterstützung für ihre Finanzen holen dürfen und ich nicht”, beschreibt Vanek seinen Ärger von damals. “Die Stadt Wien hat mir einfach nichts zugetraut, weil ich nicht lesen und schreiben kann.” Jürgen Vanek und sein Unterstützungskreis waren überzeugt davon, dass er mit Persönlicher Assistenz umgehen, und seinen Alltag organisieren kann. So zog Jürgen Vanek im Jänner 2011 in seine erste eigene Wohnung.
Im Rahmen der Persönlichen Zukunftsplanung entwickelte der Unterstützungskreis im Jänner 2011 zunächst ein Projekt mit der Universität Wien. Studierende machten in ihrem Forschungspraktikum ein Jahr lang Persönliche Assistenz bei dem stolzen Mieter der eigenen Wohnung. Vanek wurde zum Manager seines eigenen Lebens. Gleichzeitig war er Forschungsleiter von Persönlicher Assistenz. Die ForschungsstudentInnen mussten Berichte über ihre Tätigkeit schreiben und dem Forschungsleiter vorlegen. Erst dann konnten sie an der Universität eingereicht werden.
Das Projekt mit der Universität Wien war ein voller Erfolg. Nicht nur für Jürgen Vanek. Der Paradigmenwechsel, der oft und für viele nur ein Fremdwort ohne Inhalt ist, wurde einfach in die Praxis umgesetzt. Die Studierenden erfuhren eine ganz neue Sichtweise darauf, was Unterstützung auf dem Weg zum selbstbestimmten Leben heißt. Die Stadt Wien hat erkannt, dass auch sie ihre Sichtweise verändern muss. Und seit Februar 2012 bekommt Jürgen Vanek das Geld für Persönliche Assistenz.
Berufliche Veränderung
Auch beruflich hat sich Jürgen Vanek verändert. Er machte vor zwei Jahren den Ausbildungslehrgang zum Moderator für Persönliche Zukunftsplanung und startete ein Praktikum im Zentrum für Kompetenzen. “Persönliche Zukunftsplanung hat mich von Beginn an begeistert, ich wollte unbedingt mehr darüber wissen”, so Jürgen Vanek über seine Motivation. Nach seinem Praktikum bekam Jürgen Vanek im Februar 2012 eine Anstellung im Zentrum für Kompetenzen, wo er bis heute im Bereich Persönliche Zukunftsplanung tätig ist.
Das Menschenbild in der Persönlichen Zukunftsplanung
Am Beispiel von Karin Weiner und Jürgen Vanek wird deutlich, was Persönliche Zukunftsplanung bewirkt. Persönliche Zukunftsplanung ist ein Instrument. Eine Methode, die Menschen dabei unterstützt, aus Träumen Ziele zu machen und aus Zielen konkrete Veränderungen. Die Methode kann man lernen.
Viel wichtiger ist aber das Menschenbild das dahintersteht. Persönliche Zukunftsplanung geht davon aus, dass behinderte Menschen sehr genau wissen, wie und wo sie leben oder arbeiten möchten. Persönliche Zukunftsplanung geht davon aus, dass es zunächst wichtig ist zu träumen und diese Träume aufzuschreiben oder aufzuzeichnen. Viele behinderte Menschen werden nicht nach ihren Träumen gefragt. Wichtiger ist der Versorgungsgedanke “sauber, satt, trocken.” Das führt dazu, dass sie verlernen zu träumen.
In der Persönlichen Zukunftsplanung haben die Träume der planenden Person eine große Bedeutung. Sie stehen am Anfang aller weiteren Schritte. In der Persönlichen Zukunftsplanung geht es um das was die Person kann und nicht darum, was sie nicht kann. In der Persönlichen Zukunftsplanung steht die Wertschätzung der planenden Person gegenüber an oberster Stelle. Sätze wie “das geht nicht”, oder “dafür bist du zu behindert” haben keinen Platz Die planende Person und alle ihre sozialen Rollen sind wichtig! Viele sogenannte “Defizite” einer behinderten Person werden der Behinderung zugeschrieben. Schaut man genauer hin muss man erkennen, dass dies nur sehr selten der Fall ist.
Viel entscheidender sind die Lebensläufe der behinderten Menschen und die oft negativen Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens gemacht haben. Diese prägen und hinterlassen sehr oft Menschen mit geringem Selbstvertrauen. Die einzige soziale Rolle in der sie wahrgenommen werden, ist die Rolle “behindert”. Sie fühlen sich oft als Belastung für ihre Umwelt und nehmen sich nicht das Recht heraus, ihre Bedürfnisse mitzuteilen.
In der Persönlichen Zukunftsplanung stehen die Bedürfnisse der planenden Person im Mittelpunkt. Die Behinderung wird als ein Teil der Persönlichkeit gesehen. Es gibt aber zahlreiche andere Eigenschaften und Dinge, die die planende Person ausmachen. “Die Vision der Persönlichen Zukunftsplanung ist das Offene und Grenzenlose. Zunächst in unseren Köpfen, dann in der Umsetzung, um die Ziele der planenden Person zu verwirklichen. Wir können dann das Unmögliche möglich machen, wenn wir in jeder Phase die Kreativität in den Vordergrund stellen”, so Andreas Oechsner, Visionär in Sachen Persönlicher Zukunftsplanung.
“In der konkreten Persönlichen Zukunftsplanung von Jürgen Vanek schien zunächst das Projekt Wohnung an den Finanzierungsschwierigkeiten der Persönlichen Assistenz zu scheitern. Die Vorgaben der Stadt Wien waren ganz klar. Auch Gespräche wären nicht zielführend gewesen. Die einzige Chance, diese Hürde zu nehmen, war ein Umweg über ein anderes Projekt. Wenn wir diese Kreativität benutzen, lassen sich manche Berge versetzen, auch wenn sie noch so hoch sind”, erzählt Reiseleiterin Angelika Pichler.
Gründung des Netzwerks Persönliche Zukunftsplanung in Linz 2012: Die Mauer der Blockaden einreißen…
Lust auf Veränderung
…und den Blick auf die Träume freilegen!
Grenzen aufheben
Persönliche Zukunftsplanung fordert und ermöglicht neue Sichtweisen. Diese waren den Veranstaltungspartnern wichtig. Das ist das Gemeinsame! Es geht um die Lust auf Veränderung. Wenn das Gemeinsame über dem Trennenden steht, werden Grenzen aufgehoben. Die Lust auf Veränderung steht am Beginn jeder Persönlichen Zukunftsplanung. Über 250 TeilnehmerInnen sind der Einladung nach Linz gefolgt und haben sich mit dem “Virus Persönliche Zukunftsplanung” anstecken lassen.
Zunächst musste allerdings die “Mauer der Blockade” auf der Bühne eingerissen werden. Den Anfang machte der Soziallandesrat von Oberösterreich, Josef Ackerl. Ihm folgten viele aus dem Publikum, die die Mauer der Blockade sehr schnell zum Einsturz brachten. Zu sehen war nun eine Collage aus Traumbildern die viele verschiedene Personen gemalt haben. Dieses bunte Bühnenbild begleitete die TagungsteilnehmerInnen die gesamten zwei Tage.
Deutschsprachiges Netzwerk Persönliche Zukunftsplanung

Andreas Oechsner hat seine Wurzeln in der Selbstbestimmt Leben Bewegung und ist seit 2002 Projektleiter des Zentrums für Kompetenzen.
Angelika Pichler ist Pädagogin und seitstellvertretende Projektleiterindes ZfK
Kontakt und nähere Informationen
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